„Mein schönstes Ferienerlebnis“ … So oder so ähnlich lautete oft die erste Aufgabe im Fach Deutsch nach den großen Ferien. Meist war ich hoffnungslos überfordert, bin am längsten von allen Klassenkameraden vor dem leeren Papier gesessen und hatte letztendlich doch den kürzesten Aufsatz. Ein ‚Trauma‘, dass mich (manchmal) bis heute verfolgt.
Grund genug, anlässlich der Blogparade Reiseglück – Mein Sommer 2019 von Janina mal wieder gegen meine Blockaden anzuschreiben und Euch auf eine Wanderung auf die Schärtenspitze im Hochkaltermassiv mitzunehmen.
Ich liebe es in die Berge zu gehen. Das erste mal mit 8 oder 9 Jahren an der Seite meines Vaters und meines Stiefbruders. Dann immer wieder. Im zarten Teenageralter mehr und mehr alleine oder den Kumpels aus der Schule. Immer weiter, immer höher, immer steiler. Inzwischen seit bald 50 Jahren. Wenn auch nicht mehr ganz so weit, so hoch, so steil.
Mein Ziel an einem schönen Sommertag im August: Die Schärtenspitze im Hochkaltermassiv oberhalb des Blaueisgletschers. 2.153 Meter hoch und damit immerhin gut 1.400 Meter über dem Ausgangspunkt am wildromantischen Hintersee.
Der Tag begann im herrlichsten Sonnenschein. Doch das Glück währte nicht lange. Die ersten Kilometer des Anstiegs stellten sich als langweilige Forststraße der schlimmsten Kategorie heraus. Eintönig durch den Wald. Dabei so steil, dass das möglichst zügige Gehen durchaus anstrengend wird. Knapp zwei Stunden ohne große Abwechslung bis zur Schärtenalm. Der Weg ist das Ziel? Schei… drauf. Schei … Weg!
Immerhin, kurz hinter der Schärtenalm öffnet sich das Panorama Richtung Süden und Westen und der Blick fällt erstmals auf das Blaueiskar. Nach einer weiteren Stunde durch lichten Lärchenwald ist die erste Etappe gemeistert und die Blaueishütte erreicht.
Eine kurze Pause mit Brotzeit und Johannisbeerschorle, dann beginnt der eigentliche Gipfelanstieg. Und damit bessert sich auch sprunghaft die Laune. Die Freude kehrt zurück, der Anstieg macht jetzt richtig Spaß. Die Waldgrenze ist erreicht und der zunächst dichte Latschenbewuchs weicht mehr und mehr Steinen, Geröll und nacktem Fels. Immer wilder und immer urtümlicher wird das Gelände. Stets im Blick die Schnee- und Eisfelder des Blaueisgletschers, dem nördlichsten Gletscher der Alpen. Darüber die schier unbezwingbar erscheinenden Wände des Hochkalters. Links von uns steil aufragend das Ziel der heutigen Tour, die Schärtenspitze. Der Mensch wird klein im Angesicht der grandiosen Landschaft. Einige Kletterer sind in ihrer Winzigkeit kaum auszumachen, verschwinden fast im Fels. Im großen Bogen führt der Weg weiter. Mehr und mehr wird es nun notwendig, auch auf dem verhältnismäßig einfachen Normalweg, die Hände zu Hilfe zu nehmen. Besonders ausgesetzte Passagen sind mit Seilen und einer kleinen Leiter gesichert. So geht es Meter und Meter stetig bergauf.
Das Gehen wird zur Meditation. Die Gedanken fließen. Sie kommen und gehen. Nichts festhalten, nichts bewerten. Was im Alltag unmöglich ist, passiert hier ganz von alleine. In gewisser Weise führe ich Selbstgespräche in meinem Kopf.
In einer Scharte öffnet sich der Blick völlig unerwartet endlich auch gen Osten und Süden. Atemberaubend. Ich bin überwältigt. Manchmal könnte ich in solchen Situationen weinen …
Kurz darauf erreiche ich das Gipfelkreuz. Ich bin glücklich. Lasse den Blick schweifen. Über all die Höhen und Gipfel, die ich in dieser Gegend vor langer Zeit in deutlich jüngeren Jahren bestiegen habe: Watzmann, Sommerstein und Schönfeldspitze, großer Hundtod, Teufelshörner, Hoher Göll und die gesamte Hochfläche des steinernen Meeres.
Und mir kommt ein Spruch in den Sinn, den ich vor langer Zeit auf einem Grabstein (!) gelesen habe:
Viele Wege führen zu Gott, einer davon über die Berge …
Ich bin zufrieden. Mit mir und der Welt. Und wenn mein Leben in diesem Moment, auf diesem einen Berg zu Ende wäre. Ich würde nichts ändern, nichts anders machen wollen. Ich würde keinen einzigen Gipfel, den ich jemals bestiegen habe, bereuen.